Wat so alles doof is

Wenn Ihr von mir lest, lest Ihr so gut wie immer die Dinge, die ich schaffe oder plane, erlebe oder gemeistert habe. Neben denen gibt es aber auch einige Dinge, die ich tatsächlich auch doof finde. Das sind meist die, die mir vor Augen halten, dass meine Selbstständigkeit zu einem recht großen Teil flöten gegangen ist, bzw. geht.

Autonomie ist ein hohes Gut.

Die wird, wie viele andere Dinge im Leben auch, als selbstverständlich angesehen. Ich nehme nicht an, dass Ihr Euch im normalen Alltag Gedanken darüber macht, dass Ihr eine Stufe hochgeht, dass ihr euch setzt oder stellt, legt oder anlehnt. Ob ein Weg, den ihr geht, grade oder uneben ist. 

Wann ihr am besten aufs Klo geht, wann ihr am besten raus geht. Oder ob ihr besser drinnen bleibt. Wie ihr an euer Ziel gelangt.

Ihr macht es einfach. Wann ihr wollt. Punkt.

Wenn mir etwas fehlt, dann dieses "Einfach-machen".

Wer mich aus meinem früheren Leben kennt, weiß, was ich alles "mal eben" gemacht habe. Ich habe selten still gesessen, es gab immer was zu tun, was zu regeln. Arbeiten, Haushalt, Kinder, Sport... in den verschiedenen Reihenfolgen.

Ich bin los um all das, was es zu erledigen galt, abzuarbeiten. Ab ins Auto, Einkaufen, schnell mal nach oben an die Waschmaschine, eben noch schnell im Garten die Sachen einpflanzen, die Hecke schneiden, die Terrasse kärchern. 

 

Das schaut jetzt mal gepflegt anders aus.

Der Hauptbestandteil des Tages besteht aus, logisch, rumsitzen. Das ist erstmal gar nicht so schlimm, daran habe ich mich wirklich schnell gewöhnt. Zu Anfang besaß ich beim Rumsitzen ja noch die Autonomie, zu entscheiden, wo. Da bin ich rüber auf einen Stuhl, aufs Sofa, vom Aktiv-Rolli in den E-Rolli gewechselt, bin aufs Klo wenn ich musste, wieder zurück, etc., denn da haben meine Arme und der Rumpf mich noch getragen.

 

Jetzt bedeutet Rumsitzen: Ich sitze da wo ich hingesetzt wurde. Wenn man will kann man mich auf dem Sofa, dem Bett, sogar auf dem Klo verhungern lassen. Ich würde selbstständig da nicht mehr weg kommen. Das ist schon beängstigend. Wenn man drüber nachdenkt. Lassen wir das also. ;-)

 

Wenn ich "Gesunde" um was beneide, dann darum, dass sie alles was sie erreichen möchten, erreichen können. Da spreche ich jetzt nicht von heheren Idealen, sondern einfach von physischen Zielen. Mal ganz unphilosophisch.

Sie erreichen ihr Ziel mit dem Bus, Bahn, Auto, Treppen rauf und runter, keine Überlegungen, wer bringt mich wann und wie dahin. Lohnt sich der Aufwand überhaupt? Komme ich da aufs Klo? Ist es barrierefrei? 

"Gesunde" planen Freunde zu treffen, machen Ort und Zeit aus und gehen los. Tun sie auch zur Arbeit, bei Aktivitäten jedweder Art.

 

Das würde ich echt gerne noch mal oder wieder können.

 

Mein Tag beginnt damit, dass ich warte, dass Thompson mich aus dem Bett holt. Da er ein toller Thompson ist, tut er das auch zuverlässig. Das bedeutet aber auch, dass mein Tag dann beginnt, wenn seiner es tut. Obwohl ich eigentlich ja noch gar nicht aufstehen müsste. Doch daran haben wir beide uns nun auch schon gewöhnt. Denn auch er kann nicht einfach mal aufstehen. Er hat mich immer am Hals, im wahrsten Sinne des Wortes.

Weiter geht's, indem ich warte, dass ich aufs Klöchen und wieder runter gehoben werde. Dann kann ich tatsächlich noch alleine die Katzen füttern. Hey! 

Frühstücken klappt auch, es ist immer eine liebe Hilfe, dass er mir den Tisch deckt und auch meine Tasse mit Milch hinstellt. Letzteres kann ich noch alleine, aber es ist halt aufwändiger. Sie aus der Mikrowelle zu heben geht nur in bestimmten Winkeln, sonst macht mein Arm das nicht mehr. Und dann wird die Tasse zwischen die Beine geklemmt, da ich meine Hände ja brauche um vorwärts zu kommen. So holt er sie halt mal eben und stellt sie mir hin. Beugt auch Verbrennungen der Oberschenkel vor. ;-)

 

Da ich bis zur Versorgung durch den Pflegedienst noch einige Stunden Zeit habe, setzt er mich, bevor er zur Arbeit geht, in den E-Rolli oder aufs Sofa. Je nachdem wo ich hin will. (Autonom, wa?) Auf beidem kann ich die Füße noch was hochlegen und die Augen noch was schließen.

Dann kommt der Pflegedienst, hilft mir bei der morgendlichen Routine und beim Anziehen. Ich weiß etwa die Zeit, habe aber nur bedingten Einfluss drauf wann sie erscheinen und auch nicht darauf, wer kommt. Allerdings sind wirklich alle sehr, sehr nett, bemüht und freundlich.

 

Fertig angezogen würde dann nun die Hunderunde anstehen. Auch das kann ich nicht immer alleine. Wenn es kühl ist, benötige ich eine Jacke. Die kann ich aber nicht alleine anziehen. Schuhe auch nicht. Aber da hat mir meist der Pflegedienst schon geholfen.

Also plane ich vorher schon ein, dass ich Hilfe benötige. Die habe ich in Form einer grandiosen Nachbarschaft.

Meine Whats-App-Gruppe "Die Rollischubser" besteht aus 13 Nachbarn, die schon fast Freunde zu nennen sind. Hier schreibe ich rein, dass ich Hilfe brauche und einer von ihnen kommt dann um mich zu unterstützen.

Jacke an, Schuhe an, Zuggerät andocken, später alles wieder rückwärts, wenn ich mit Hundi zurück bin. Ohne sie würde ich nicht mehr mit dem Hund los können. Oder nur, wenn es "Ohne-Jacke-Wetter" ist.

 

An manchen Tagen auf zur Arbeit. Ich mache 2-3x die Woche Home-Office. 2x die Woche bin ich vor Ort. Arbeite ich im Büro, brauche ich jemanden der mich fährt und auch Hilfe vor Ort. Denn Ordner schleppen, Blätter einsortieren... Fehlanzeige.

(Gott sei Dank ist mir zur rechten Zeit die Info über die Arbeits- und Freizeit-Assistenz zugeflogen. Die eine ist zwar noch nicht genehmigt, aber ich kann, Dank der bewilligten Arbeitsassistenz, schon einen Assistenten beschäftigen, der wenigstens rudimentär unterstützt. So komme ich, wenn er da ist, zur Arbeit, habe Hilfe im Büro und er hilft mir auch, wenn es darum geht, einzukaufen, mit dem Hund raus zu gehen, zur Physio zu fahren, etc. Dazu mal an anderer Stelle mehr.)

 

Bleibe ich zuhause und arbeite am Computer, geht das ohne Hilfe. 

Dann heißt es warten. Auf den mittäglichen Besuch des Pflegedienstes. Zeiten, in denen ich aufs Klo gegangen bin, wenn ich musste, gehören der Vergangenheit an. Ich gehe, wenn der Pflegedienst kommt. Entsprechend teile ich mir meinen Kaffee ein. Zu müssen und nicht zu können ist echt übel. So trinke ich Kaffee nach der Uhr und hoffe, dass sie sich nicht verspäten.

Mittags gibt es dann was aus der Mikrowelle zu essen. Es gibt mittlerweile Gerichte die wie selbst gekocht schmecken. Das geht schon sehr gut.

Nachmittags dann wieder die Frage in die Nachbarschaft, wer mir hilft und dann geht's zur zweiten Hunderunde des Tages.

 

Möchte ich mich mal hinlegen muss ich auch das planen. Das  geht nur im E-Rolli oder auf dem Sofa. Beides erreiche ich nicht selbstständig. So muss ich den Pflegedienst, der am Nachmittag nochmal fürs Klöchen kommt, bitten, mich in den E-Rolli zu setzen. Der Panzer ist ja recht riesig und sehr wuchtig drinnen, aber mit ihm habe ich die Möglichkeit mich fortzubewegen und in die Liegeposition zu wechseln. Das geht mit dem Sofa nicht. Da bin ich dann drauf festgesetzt. So entscheide ich mich lieber für das Sitzen im Panzer.

Da bin ich dann solange, bis Thompson, oder manchmal auch Pascal heim kommen und mich wieder in meinen kleinen Rolli setzen.

Dann warte ich drauf, dass wir eine Kleinigkeit zu Abend essen.

Dann darauf, dass ich nochmal aufs Klöchen gehen kann. Wobei ich abends vom Welt besten Thompson versorgt werde. Da kann ich dann auch mal sagen, wann ich möchte. Dennoch schaue ich auch da auf die Uhr. Ich versuche es so hinzubiegen, dass dieser Gang, der ja immer mit Heben und Anstrengung für beide Seiten verbunden ist, der letzte vor dem allerletzen vor dem Schlafengehen ist. Da ziehe ich dann auch direkt meinen Schlafi an und werde anschließend auf die Couch gesetzt, wo ich dann beim fernsehen, lesen oder schreiben meinen Abend gemütlich verbringe.

 

Um mich herum mein Handy, die Fernbedienungen, Trinken, Tabletten... das Licht wird angestellt.

Auf dem Sofa sitzend kann ich nichts mehr holen. Alles was ich dann vergessen habe, muss von jemandem gebracht werden, den ich dann rufen muss. Nach einiger Zeit gesellt sich Thompson dazu, kredenzt mir ein Gläschen Wein, wir machen uns einen netten Abend.

Geht es Richtung Bett muss er mich wieder heben. Vom Sofa in den Rolli, vom Rolli nochmal auf's Klöchen (hat jemad mitgezählt? Ich gehe am Tag 6 mal auf Klo. :-D), vom Klöchen in den Rolli, vom Rolli ins Bett.

Da wird dann genau geschaut, wie ich liege. Ein Bein angestellt, dann das andere, dann eine Knierolle dazwischen, dann alles nach links, zudecken. Nichts von dem kann ich alleine. Drückt eine Falte? Muss ich rufen. Ist die Decke nicht richtig , muss ich rufen.

In der Nacht schaffe ich es mit Hilfe meines elektrischen Einlegerahmens wenigstens alleine, mich etwas anders zu positionieren. Das dauert zwar gefühlt die halbe Nacht, aber es geht. Dann werden von mir per Knopfdruck Kopf- und Fußteil hochgefahren, damit ich meine Beine zu fassen bekomme und sie dann anders hinlegen kann. Dann alles wieder runter. Gott sei Dank ohne Thompson aufzuwecken. Schon wieder autonom gewesen!

So sieht ein Tag von mir aus. 

Eine Menge Abhängigkeiten. Braucht der Hund Wasser, bitte ich drum, die Pflanzen müssen gegossen werden, ich bitte drum, Briefkasten leeren... Spülmaschine, Waschmaschine, was aus dem Kühlschrank nehmen... Mir ist was runtergefallen...

Ich bitte drum.

 

Dankbar bin ich für alle meine lieben Helfer und Unterstützer in der Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, der Assistenz, dem Pflegedienst. Dankbar auch für meine Hilfsmittel, dem elektrischen Bettrahmen, meinem Rolli, dem E-Rolli, der Duschrolli, bald einem Lifter, dem Zuggerät. Bruno nicht zu vergessen!

 

Zutiefst dankbar, bin ich auch, dass ich in einem Land lebe, wo das alles möglich ist. Eine Kranke wie ich in einem Kriegsland wie Syrien hätte kaum eine Chance. Das wird gerne vergessen, wenn über unser Land und unser Sozialwesen geschimpft wird. Es geht uns trotz aller noch möglichen Verbesserungen sehr gut. Wir werden versorgt. Manchmal nach einem Kampf aber es wird uns Hilfe und Unterstützung zuteil. 

Das darf man auch mal würdigen.

 

So, nun wisst ihr, wie es bei mir an einem normalen Tag so ausschaut. Und wat alles doof is.

 

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, wäre es der, einfach wieder normal leben zu können. Losgehen und machen. Das wäre cool. 

Und dann wäre es gar nicht mehr so selbstverständlich. Sondern ein Grund zum Feiern.

 

Gehabt Euch wohl!




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Kommentare: 1
  • #1

    Astrid Schäffer (Donnerstag, 26 April 2018 09:42)

    Liebe Michaela, du schreibst so toll von deinem Alltag und ich erkenne mich in vielen Dingen wieder. Obwohl bei mir durch andere Lebensumstände natürlich einiges anders abläuft. Aber im Grunde habe ich den gleichen Wunsch. Alles nochmal allein zu können. Weiter so. Du bist großartig!