Entscheidungen

... die ich aktuell noch nicht treffen muss. Mit denen ich mich aber immer mal wieder befasst habe. 

Grade habe ich in einer Gruppe den Link zu diesem Artikel gefunden. 

Verbunden mit dem Aufruf:

"Wir möchten dem Erfahrungsbericht den dringenden Hinweis vorausschicken, nicht zu warten mit der Anlage einer PEG. Sobald erste Schluckprobleme und regelmäßiges Verschlucken beginnen, sofort eine geeignete Klinik suchen, die eine schonende Variante der PEG-Anlage mit einiger Erfahrung praktiziert. Warten Sie nicht bis Essen nicht mehr geht und das Gewicht rapide schwindet. Mit einer PEG verlieren Sie Angst vorm Essen und regulieren problemlos Ihr Gewicht.

Wir empfehlen die Fadenzugmethode mit örtlicher Betäubung bei der Anlage einer durch Pflegekräfte wechselbaren PEG mit Ballon. Warten Sie nicht."

Die folgende Info stammt von dieser Seite: https://www.onmeda.de/behandlung/magensonde-peg-sonde-22051-4.html


"Die PEG-Sonde ist eine ganz besondere Magensonde – denn sie wird nicht durch den Mund oder die Nase in den Magengeschoben, sondern direkt durch die Bauchdecke. Der Vorteil: Mit einer PEG-Sonde können Ärzte den Patienten über einen längeren Zeitraum künstlich ernähren, ohne dass er beim Schlucken oder Atmen beeinträchtigt wird.

Eine PEG-Sonde besteht ebenfalls aus einem dünnen und flexiblen Schlauch. Verglichen mit einer Magensonde, die durch die Nase oder den Mund in den Magen gelegt wird, ist eine PEG-Sonde allerdings erheblich kürzer: Sie misst gerade einmal wenige Zentimeter.

Die Abkürzung PEG steht für "perkutane endoskopische Gastrostomie". Perkutane Gastrostromie bedeutet frei übersetzt so viel wie "durch die Haut hindurch in den Magen". Endoskopie setzt sich aus den griechischen Begriffen "endos" (innen) und "skopein" (betrachten) zusammen.


Wie gesagt, ich habe mich mit diesen Fragen natürlich auch schon auseinander gesetzt. Und aktuell besteht kein Handlungsbedarf. Ich bekomme (noch?) genug Luft und verschlucke mich auch (noch?) nicht sonderlich oft. Auch habe ich keine Schluckbeschwerden. Ich spare mir jetzt mal das dritte (noch?)  ;-)

 

Aber ich muss noch ein wenig ausholen.

Vor einiger Zeit habe ich einen Bericht über einen Jungen gesehen. Seine Krankheit kann ich nicht mehr genau benennen, es war auf jeden Fall ebenfalls eine, die ihn immer schwächer werden ließ, er konnte nachher nicht mehr gehen, nicht mehr sprechen und lag nur noch in seinem Bett. Also ganz so weit weg von der ALS war sie nicht. Dieser Junge war 8 Jahre alt, also minderjährig, und seine Mutter wollte natürlich nur das Beste für ihn.

Er und seine alleinerziehende Mutter wurden über Jahre von dem Fernsehteam begleitet. Von der Zeit, wo er noch scheinbar völlig gesund war, aber schon die Diagnose hatte, bis eben zu dem Moment, wo er bewegungsunfähig im Bett lag.

 

Auch hier wurde im Laufe der Zeit über diese Sonde gesprochen. Und da der Junge viel zu klein war um das Ausmaß solcher Entscheidungen abzuschätzen, musste seine Mutter sie für ihn treffen. Und ihr erster Gedanke war, nein, sowas möchte ich nicht für ihn.

Es war einige Zeit später als das Fernsehteam nochmal nach den beiden schaute. 

Der Junge war schon viel länger am Leben, als es ihm prognostiziert wurde. Er war nun schon 16. Aber er lag halt nur noch in seinem Bett. Konnte sich nicht bewegen und sich nicht ausdrücken. Und er war nicht mehr zu Hause, weil die Mutter die Pflege nicht mehr alleine schaffte, sondern in einem Pflegeheim. Und: Er hatte nun doch diese Magensonde. Irgendwann hatte sie sich umentschieden und sie ihm legen lassen. So recht war nicht klar, warum. Vielleicht ist es von einem Menschen einfach zuviel verlangt, einen anderen, geliebten Menschen, "verhungern" zu lassen.

Damit endete die Reportage. Nicht mit seinem Tod, wie man am Anfang vielleicht gedacht hätte.

Und ich war mir sicher: SO möchte ich nicht leben. Ich bin sogar soweit gegangen zu sagen, dass sie ihm eher keinen Gefallen mit der Sonde getan hat. Ich finde, sie hat sein Leiden nur verlängert. Wenn auch in bester Absicht.

 

Ein ähnliches Erlebnis hatte ich, als meine Mama immer dementer wurde und immer weniger am Leben teilnahm. Schließlich auch noch stürzte und so unglücklich aufkam, dass sie eine Hirnblutung erlitt. Zu dem Zeitpunkt war sie schon in einer Einrichtung für stark demente Menschen, die ständiger intensiver Betreuung bedurften.

 

Und nun musste ich ins Krankenhaus fahren und entscheiden, wie es mit ihr weiter gehen sollte. Ein MRT wäre nur mit einer Narkose möglich gewesen, sie wehrte sich gegen jede Behandlung mit Händen und Füßen, Schreien und Weinen. Ein CT hatte hatte halt diese Blutung ergeben.

Sollte ich sie operieren lassen? So verwirrt wie sie war, würde sie dann mit einer Kopfwunde umgehen können? Was wenn die OP gar keine Verbesserung bringen würde? Denn auch das war möglich. Zu den Schäden die die Alzheimer- Erkrankung angerichtet hatte, kamen nun auch noch Schäden durch Einblutungen. Die Ärztin meinte, sie könne verstehen, wenn ich keiner weiteren Behandlung zustimmen würde.

Ich habe mich gegen eine OP entschieden und war mehr als geschockt, als die Ärztin sagte, dass sie sie dann nicht weiter untersuchen und ins Heim zurück entlassen würden. Klar. Ohne weitere Behandlungsmöglichkeiten brauchten sie sie auch nicht weiter untersuchen. 

Und ich kam mir vor wie eine Mörderin. Hatte meine Mutter um eine Behandlung gebracht. Die vielleicht nichts bewirkt hätte... aber muss man nicht alles versuchen?

Ich denke, das muss in etwa die Mutter des Jungen gefühlt haben.

Man will sich halt nicht den Vorwurf machen müssen, nicht alles versucht zu haben.

Oder ihn sich machen lassen. Denn das Umfeld ist da auch flott mit einer Meinung.

 

Ich möchte aber gerne so an die Sache rangehen, dass ich mit einbeziehen möchte, was eine Behandlung an Vorteilen bringt.

Im Falle dieser PEG Sonde fallen mir halt nicht ganz so doll viele ein. 

Ich spreche, wie immer, nur für mich!

Sie verhindert meine Schluckbeschwerden nicht. Sie verhindert nicht, dass ich mich verschlucke.

Sie verhindert, dass ich verhungere.

Ok.

 

Aber:

Wenn ich durch die Krankheit schon soweit bin, dass ich mich kaum bis gar nicht mehr bewegen kann, dass ich entsprechend wenig am Leben teilhabe... ich an einer Krankheit leide, die nicht nach 3 Monaten verschwindet und alles wird wieder besser...

Nein, es wird immer schlechter...

Hm. Möchte ich dann auch noch künstlich länger mit dieser Krankheit leben müssen? Immer weiter mit Nahrung versorgt werden, nur um immer weiter machen zu können... müssen? 

Aus meiner jetzigen Perspektive heraus sage ich "Nein." Das habe ich als Gesunde schon so mit Hilfe einer Patientenverfügung entschieden. Und ich unterschreibe diese Entscheidung als Kranke noch immer. Ich möchte nicht alles probieren um länger am Leben zu bleiben (ich würde mich auch nicht tagelang an Infusionen legen lassen um vielleicht einen kleinen Aufschub der Krankheit zu erhalten, so wie es aktuell einige ALS-Patienten tun. Die Zeit, die ich im Krankenhaus am  Tropf hänge, ist für mich verlorene Zeit. Wenn ich die summiere, habe ich mehr gelebte Zeit, wenn ich darauf verzichte. (Anders würde ich es z.B. bei der Blutwäsche beurteilen. Hier hat der Patient die reelle Chance, ein Spenderorgan zu erhalten, wenn er sich Zeit verschafft. (Klammerbemerkungen in Klammerbemerkungen in Klammerbemerkungen. Ich fass es nicht!))).

 

Was möchte ich?

Ich möchte die Zeit, die ich am Leben bin, genießen. Es mir schön machen. Und ich möchte nicht leiden müssen.

Vor allen Dingen hätte ich Sorge, dass, hab ich das Ding erstmal im Bauch stecken, es kein Zurück mehr gibt. Kann ich dann noch sagen: "Leute, mir reicht's? Zieht es wieder raus." Hört mich dann noch jemand? Und wenn ja, folgt mir dann noch jemand? Oder ist einmal drin, immer drin? Einbahnstraße Leben. (Trifft übrigens auch auf die künstliche Beatmung zu: Werde ich immer weiter beatmet obwohl ich schon lange keinen Bock mehr habe?)

 

Darum würde ich einer vernünftigen Palliativmedizin den Vorrang vor einer PEG-Sonde, wie auch anderen Lebens- (Leidens-) verlängernden Maßnahmen  geben wollen. Und dann lieber etwas früher abtreten. Frei nach  Cicely Saunders: "Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben."

Das mag den lieben Menschen um mich rum weh tun. Aber ich finde, sie können sich damit trösten, dass sie in meinem Sinne handeln und dass ich es genauso haben möchte. Und niemand muss sich als Mörder fühlen. Denn ich habe es so entschieden. Für mich. 

 

Und wer weiß, was mein Leben noch für mich bereit hält? Vielleicht ändere ich meine Meinung noch. Kann alles sein. Aber dann, weil ich es so möchte. Und niemand muss es für mich tun.

 

So, genug der schweren Themen. Aber wichtig sind sie.

Wie ich finde, sind das Themen, die auch Gesunde betreffen. Sich darüber mal Gedanken zu machen und dann vielleicht eine Patientenverfügung zu verfassen, ist nicht das Schlechteste. Es ist euer Leben, ihr bestimmt. Und da geht es nicht nur um PEG-Sonden.

Und dann noch zu verfügen, dass man Organspender wird, wäre noch das Sahnehäubchen.

Dann hat der Mensch an der Dialyse direkt noch eine Chance mehr. ;-)

 

Gehabt euch wohl!




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