Gut, dass wir drüber gesprochen haben


Ich bin bei Facebook in der Gruppe der DGM. "Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke".

Vor einigen Tagen wurde über ein Crowd-Funding-Projekt berichtet, womit die Mutter eines verstorbenen ALS-Patienten ein Buch herausbringen möchte.

Aus dem Text: "Die Diagnose ALS an sich ist ein alles verändernder schwerer Schicksalsschlag, der von jetzt auf gleich das Leben des Betroffenen und seiner Angehörigen komplett umkrempelt. Besonders schwer trifft es aber einen sehr jungen Menschen, der noch am Anfang seines Lebenswegs steht. Paul war so ein Mensch. Seine Mutter begleitete ihn bis zu seinem Tod und hat nun ein Buch über diese Zeit mit ihm / für ihn geschrieben.
Noch gibt es das Buch nicht zu kaufen, mit einem Crowdfunding-Projekt soll dies anders werden. Wir möchten Ihnen dieses unterstützenswerte und Mut machende Projekt ans Herzen legen.
Helfen Sie mit Ihrer Spende, dass dieses Buch in die Öffentlichkeit kommt."

Jut. Mein erster Gedanke war: "Ach guck, die macht Crowdfunding um ihr Buch zu veröffentlich. Könnte ich ja auch machen." Der nächste: "Warum muss sie denn Geld dafür sammeln? Wenn es ein gutes Exposé hätte, würde sie doch einen Verlag finden?"

Also, vielleicht ist das Buch nicht ganz so gut. Weiß ich aber nicht und möchte mir auch keine Meinung darüber erlauben.

Ist ja auch nur legitim, seine Dinge so zu machen wie man es möchte. Und wenn man genug Unterstützer bekommt, umso schöner.

Vielleicht reicht es auch schon, "ALS" auf das Cover zu schreiben und schon hat man genug Unterstützer?

Na, das wär ja was. Dann müsste ich mir ja keine Gedanken mehr über eine Veröffentlichung eines möglichen Buches machen. Die Leute werden es mir aus den Händen reißen. Vorher natürlich dafür bezahlen, dass ich es überhaupt verlegen lasse.

Das nur als Vorgeschichte zu dem, was dann kam...

In den Kommentaren hatte eine Frau geschrieben, dass jede schwere Erkrankung mit unklaren Prognosen den Menschen den Boden unter den Füßen wegreißt und Angst erzeugt.

Dem konnte ich zustimmen. Denn genau dies war mir und meiner Familie vor 1,5 Jahren auch passiert.

Um zu erzählen, wie ich mit sowas umgegangen bin, schrieb ich:


"Ich soll angeblich auch ALS haben. Seitdem ich entschieden habe, dass ich mit dem umgehe was ist und mir keinen Kopf mache um das was sein KANN, lebe ich wunderbar. Es passiert viel in den Köpfen. Auch positive Gedanken!"


Wie steht ihr zu diesem Satz? Verhöhnt er irgendwen? Und wenn ja, wodurch? Denn dies wäre die einzige Idee, die ich nach einigem Nachdenken habe, warum ich darauf eine solche Antwort bekomme (übrigens nicht von der Frau, die das mit der Angst geschrieben hat):


"Anscheinend ist ihre ALS noch nicht voll ausgebrochen, wenn sie sich erstmal durch einen schlauch ernähren müssen und nicht mehr reden oder schreiben können dann werden sie nicht mehr denken dass alles im kopf ist, ich habe eine freundin die das alles schon hat und leider nicht mehr viel zeit hat um wunderbar zu leben"


RUMS!

Ich weiß nicht, ob ich euch nachvollziehbar nahebringen kann, was in dem Moment in mir geschehen ist.

"What the fuck...?", trifft es, denke ich, am ehesten.

WAS will die denn von mir?

Ich gebe mir wirklich immer Mühe, beide Seiten zu beleuchten, auch, nicht impulsiv zu antworten. Aber das fiel mir in dem Moment schwer. Und dass ich auch noch Tage später ebenso aufgebracht bin wie an dem Abend wo ich das las, zeigt mir, dass diese Frau mich sehr tief getroffen hat. Fragt sich nur warum.

Wohlwollend betrachtet leidet sie grade mit ihrer Freundin und hadert mit dem Schicksal. Sie kann im Moment nicht anders tun, als unreflektiert um sich zu schlagen. Liest sie von Menschen, denen es besser oder gar gut geht, ist ihr erster Impuls dies zu ändern. Damit fühlt sie sich zwar nicht besser, aber der andere nun wenigstens auch nicht (mehr). Das ist ihr tatsächlich gelungen. Ich war stinkesauer und hätte sie am liebsten aus dem Forum gekickt. Ging aber nicht. Schade. Blockieren wäre gegangen, aber ich hatte noch ein paar Dinge zu sagen, die wollte ich schon gerne noch loswerden.

Tat ich dann auch.


Super. Danke für die aufbauenden Worte. Geht's noch?

Unfassbar
Nur weil ich sage, dass viel in den Köpfen passiert wenn man positiv denkt? Wie können sie so unverschämt meine Denkweise aburteilen? Schämen Sie sich!
Wenn ich da ende habe ich bis dahin sehr gut gelebt. Dank meiner Einstellung."

ARGH! Es war schon recht spät, doch das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich schäumte.

Aber, sind wir mal ehrlich. Warum? Weil diese Frau mir vor Augen geführt hat, was sein, was werden kann. Schonungslos hat sie mich mit der Nase auf mögliche Tatsachen gestoßen und eiskalt das Bild von künstlicher Beatmung, Ernährung und völliger Hilflosigkeit auf meine Seele projiziert. Das hat sie vielleicht aus ihrem Schmerz heraus gemacht. Was aber nicht weniger schmerzhaft für mich war. Denn auch wenn ich vom Kopf her Entschuldigungen und Erklärungen finde, dass ein Mensch einem anderen so empathielos gegenübertritt, ist es mir unverständlich.


Antwort: "Dann drücken sie sich besser aus, ihr erster comment hört sich nicht sehr ''aufbauend'' an für die schwer betroffenen, im prinzip hat mich nur das '' Es passiert viel in den Köpfen,'' und ''ich lebe wunderbar'' gestört'', nun lassen sie es gut sein und ich wünsche ihnen ein frohes weihnachtsfest und ein erfolgreiches neues jahr"


Ja, lassen wir es gut sein.

Sie wird nicht verstehen, was sie in dem Moment verursacht hat.

Ich bin vielleicht zu empfindlich und über einen Kommentar gestolpert, der mich zu anderer Zeit kalt gelassen hätte. Wobei ich das nicht glaube. Der war schon sehr heftig.

Und wenn man ihren letzten Satz liest, sieht man auch, wie sie sich meine Worte zurecht gebogen hat. Sie hat selektiv das aus dem Zusammenhang gepickt, das ihr zeigte, es sei Zeit, mir den Kopf zurecht zu rücken.

(Sie hat vielleicht verstanden, dass ich damit sagen wollte, die Kranken bilden sich ihre Krankheit ein.)

Und das hat sie hervorragend erledigt. Mein Kopf war zurecht gerückt.

Danke dafür.

Auch dafür, dass ich eine Studie an mir betreiben durfte, die belegte, wohin meine positive Gelassenheit verschwindet, wenn nur die richtigen Knöpfe gedrückt werden. Viel gelernt.

Ich werde weiter positiv durch mein Leben rollen und auch den Menschen meine positive Stimmung vermitteln. Und ich hoffe, dass die, die sie nicht hören wollen, mich vielleicht einfach ignorieren und nicht versuchen, mir ihre Negativität aufzubürden.

Aber auch damit werde ich umgehen.

Und sei es, indem ich mich in einem Blogbeitrag auskotze. ;-)




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