Silke: FSHD

Ich bin Silke, auch eine, die mit dem Hund rollt. Seit vier Jahren. Fünfunddreißig Jahre allerdings bin ich schon mit (m)einer Muskeldystrophie unterwegs. Ich war dreizehn, als alles so richtig begann. Immer öfter fiel ich auf die Schnute, weil ein kleines Steinchen im Weg lag oder auch einfach so. Meine Schritte wurden schwerer, bald konnte ich nicht mehr rennen, keine Stufe ohne Geländer mehr gehen oder unfallfrei vom Rad steigen. Heute tapse ich nur noch durchs Haus, ansonsten rolle ich durchs Leben. Mittlerweile fällt es mir schon schwer, die Gabel zum Mund zu bringen. FSHD, so heißt meine Dystrophie, ist ziemlich gefrässig. Das, was sie tut, nämlich meine Muskeln killen, hört nie auf. Obwohl es jetzt vage Hoffnung auf Heilung gibt. Irgendwann ...

Meinen ersten Rollstuhl bekam ich 1997, wir wurden lange keine richtigen Freunde. Aber dann merkte ich: Hey, shoppen in der Kiste ist echt entspannend. Endlich konnte ich mich umsehen, musste keine Angst mehr haben, zu stürzen. Es sei denn, ich war mit abenteuerlustigen Freunden unterwegs, die schafften es mal, mich samt Rolli auf der Rolltreppe umzukippen. Puh, da hatte ich kurz Panik. Ging aber gut aus. Und ich wurde von einem wirklich sympathischen jungen Mann in die Arme geschlossen und gerettet. Das ist eine der schönen Begegnungen, die mir entgangen wäre als ,Normalo‘. Es gibt noch einige wunderbare Menschen, die ich nie kennengelernt hätte. Und ich hätte mich ohne die FSHD nie so als Kämpfer und Jetzt-Genießer kennengelernt.

Schmerzen habe ich eigentlich ständig. Und das nervt mich. Vor allem, weil niemand sie ernst nimmt. Ärzte kennen sich mit FSHD nicht aus. FSHwas? Hm. Muss man allein und mit Ibuprofen klarkommen. Ne, nicht ganz allein, hab ne super Physiotherapeutin, die hilft auch 😉 Mich nervt auch, dass ich ne besondere Hotline anrufen muss, wenn ich Konzertkarten möchte. Dass Leute über wichtige Dinge meines Lebens entscheiden, ohne mich zu kennen oder etwas über mich wissen wollen. Dass man mir helfen will, wo ich keine Hilfe will, ich aber nichts sagen möchte, weil die anderen es ja gut meinen.
Mich nervt auch, dass die Menschen die Welt zerstören, sich über alles stellen und auch noch stolz drauf sind.

Wenn ich etwas ändern könnte, wäre ich gesund. Ganz egoistisch. Weil es das Leben einfach leichter macht. Die Welt wird nämlich nie barrierfrei sein (auch nicht die in den Köpfen). Vor allem nicht die Welt, die ich liebe. Die Dolomiten zum Beispiel. Ich würde auch gern mit meinem Hund über ne Wiese flitzen, mit ihm über den Boden kugeln, ihn hochnehmen können, wenn Gefahr droht ... sowas eben.

Ich bin glücklich mit meiner Fusselschnute. Zwischen Zweibeinern fühle ich mich manchmal einsam, neben meinem Vierbeiner nie. Ich wünschte, die Menschen würden mehr von den Tieren lernen, speziell von den Hunden. Die nehmen, was kommt, agieren im Jetzt. Nörgeln, wenn es was zu nörgeln gibt und freuen sich, wenn es was zu freuen gibt. Ihnen ist es wurscht, ob du die Haare schön hast, Hauptsache das Innendrin passt. Und sie sind da. Immer. Ich finde das toll. Und genieße es.



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Kommentare: 1
  • #1

    Monika Hennig (Dienstag, 20 Dezember 2016 22:08)

    Silke: du hast so eine tolle erfrischende Schreibweise über ein doch sehr ernstes Thema. Dein Leben! Danke, da du uns daran teilhaben lässt und wir so besser verstehen lernen. Ja liebe Silke, du bist anders als viele Menschen, die sorglos durchs Leben laufen und über alles und jeden schimpfen. Du bist tapfer und stark, viel mutiger, jeden Tag aufs Neue die alltäglichen Dinge zu meistern, die für andere selbstverständlich sind. Du siehst und erlebst ganz viele Momente viel intensiver und kannst gute Momente auch einfach genießen. Du bist einfach ein tolle und starke Frau!