Sinneswandel


Ebenfalls am Anfang der zweiten Woche kam meine Physiotherapeutin mit der "tollen" Nachricht, dass ich nun den E-Rolli Probe fahren könne. Hey, yeah! Grmpf.

Er sah aus wie ein Schlachtschiff. 2 kleine Räder je vorne und hinten und in der Mitte zwei, die dem Profil nach einem Traktor gestohlen worden waren. Nur der Durchmesser war geringer. Wäre aber lustig gewesen, als Monster-Roller durch die Gegend zu cruisen. Hihi. Naja, reichte aber auch so schon. Sie fuhr mir meinen neuen Gefährten hoch in mein Zimmer, ich mit meinem Rolli hinterher.

So ähnlich sah er aus. Mein neuer Freund. Ähnlichkeiten mit vorhandenen Panzern sind rein zufällig. ;-)
So ähnlich sah er aus. Mein neuer Freund. Ähnlichkeiten mit vorhandenen Panzern sind rein zufällig. ;-)

Als wir zwei im Zimmer alleine waren, habe ich mich ihm vorsichtig genähert. Nagut. Die meinen ja alle, dass wir beide es mal miteinander versuchen sollten...

Ich habe mich erstmal reingesetzt. Jupp, fühlte mich direkt um Längen behinderter. Soweit stimmte meine Vorstellung mit den Tatsachen überein. Dann habe ich ihn angestellt und bin vorsichtig ein paar Meterchen in meinem Zimmer rumgekurvt. Er hatte mehrere Geschwindigkeits-Stufen. Auf der ersten kroch er, auf der fünften war er recht schnell, ruckte aber auch wie ein bockiges Pferd.

So habe ich mich mit Stufe 3 weiterbewegt.

War jetzt nicht so schwer...

Der Erklärung der Physio zufoge, ist ein Rolli mit Mittelmotor darum so empfehlenswert, weil er seinen Antrieb in den mittleren Rädern hat, während die kleinen lenken. Das hat zur Folge, dass er sich auf der Stelle um sich selbst drehen kann. Die anderen E-Rollis, die entweder die großen Räder vorne oder hinten haben, sind da schwerfälliger.

Da mein Panzer in den letzten Tagen zur Reparatur war, hatte ich im Austausch einen mit kleinen Rädern vorne und großen hinten. Und ich muss sagen, es stimmt. Wenn man nach vorne gefahren ist und dann nach hinten wollte, mussten sich die vorderen Lenkräder erst umdrehen, sodass er dann immer etwas ausschlug und nicht grade rückwärts fuhr.

Da ich auch neugierig war, wie er sich denn draußen so schlägt und ich die Hoffnung hatte, dass er den Berg irgendwie schon wieder hochkommen wird, entschied ich mich, am nächsten Tag die Mittagspause für eine Ausfahrt zu nutzen.

Wenn man aber so gar keine Ahnung hat, was so ein Unikum schafft, ist das echt schwierig einzuschätzen.

 

Der Berg, der vom Hintereingang der Klinik hoch führte hatte schon ein paar Prozent. Da zu stehen und nicht weiterzukommen war jetzt auch nicht mein erstes Ziel. Zumal die gesamte Speisesaal-Gesellschaft auf diese Steigung schauen konnte. Das würde mir grade noch fehlen. So entschied ich mich für den Vordereingang, der, den ich mit meinem "normalen" Rolli auch schon genommen hatte. Fangen wir mal klein an...

Ach guck! War ganz nett hier!

Es gab außer dem Berg, der vom Haupteingang runter führte und nicht ganz so steil war, keine weiteren nennenswerten Steigungen, sodass ich einige 100 Meter fahren konnte. Ich habe ein paar Kühe besucht und mich über meine neu gewonnene Freiheit gefreut. Um es nicht zu übertreiben bin ich dann aber auch wieder zurück gerollt. Meine Kumpels saßen Spalier als ich zurück kam, was mir reichlich peinlich war, und feierten mit mir, dass ich nun wieder raus konnte. Wenn das Ding nur nicht so furchtbar ausgesehen hätte...

Aber daran ließ sich nun nichts machen. Also, Augen zu und durch. Jetzt aber erstmal schnell zurück ins Zimmer, umsteigen.

Louisa musste immer mal darum bitten, dass wir sie unterwegs nicht abhängen. :-)
Louisa musste immer mal darum bitten, dass wir sie unterwegs nicht abhängen. :-)

Beim Abendessen fragte ich die erfahrenen E-Roller was denn so ein Ding schafft. "Ach, alles kein Problem", war die Antwort. "Hier wirst du keinen Berg finden, den er nicht bewältigt". Echt? Auch nicht den steilen hinten? Nee, auch den schafft der. Hm...

Und so machten wir einen gemeinsamen Ausflug aus. Rolf und Louisa begleiteten mich beim nächsten Mal. Wir fuhren erst meinen Angstberg hoch, ging tatsächlich, dann eine große Runde, an den Kühen vorbei und einmal ganz rum, bis wir am anderen Eingang der Klinik angekommen waren. Louisa hatte auch einen geliehenen E-Rolli. Der war allerdings mehr für den Innengebrauch. Darum ging er schon ein wenig in die Knie und war auch nicht so flott wie unsere. Meiner hatte die normalen 6 km/h, aber Rolf hätte sogar 10 km/h fahren können. Es war seiner, den er extra schneller bestellt hatte. Flott, flott...

Was ich auch ganz intensiv spürte: Es wurde Winter. Der kurze Frühlingshauch war nun endgültig vorbei und wenn ich in der nächsten Zeit öfter raus wollte, brauchte ich etwas wärmere Kleidung. Die war in den 25 Koffern leider nicht dabei. Da aber meine Lieben am Sonntag kommen wollten, orderte ich sie schnell noch nach.

Das war ein toller Ausflug, wir hatten eine Menge Spaß
Das war ein toller Ausflug, wir hatten eine Menge Spaß

Tja, und so wandelte sich meine Abneigung gegen einen E-Rolli, wenn auch nicht in Zuneigung, so doch in die Einsicht, dass er mir tatsächlich eine Menge Freiheit zurück bringen würde. Das habe ich der Physiotherapeutin dann auch gesagt und so bekam ich eine Verordnung die mir den Panzer bescheren sollte.

Ich hätte gerne Silke zu einer Fahrt überredet. Aber sie meinte lapidar: "Ach... weißt du... wenn ich frische Luft haben möchte, setze ich mich was ans offene Fenster." Silke halt. Zum Brüllen. Das wurde unser running gag. Abends fragte ich sie immer: "Und warst du heute schon an der frischen Luft?" Und sie lachte und meinte: "Na, klar!"

Nach diesem Ausflug wurde ich mutiger. Ich fuhr zu einem nahegelegenen Gehege. Der Berg, der von dort hochführte hatte aber wirklich Steigung. Ich beäugte ihn kritisch und entschied, es zu probieren. Himmel. Ich dachte, ich kippe hinten über. Aber Rolli schaffte es. Ich war oben angekommen, zwar am Ende meiner nervlichen Kräfte, aber ich hatte die Steigung bewältigt ohne aus- oder umgekippt zu werden. Musste ich jetzt aber auch nicht öfter haben. Und runter ... klar, habe ich das auch versucht. Auch überlebt. Weder umgefallen, noch an einem Herzinfarkt verstorben.

 

In weiteren Ausflügen bin ich einmal bis runter ins Dorf gefahren. So 5 km. Und einmal durch absolute Finsternis, und damit es nicht zu einfach war, auch mit ordentlich Nebelschwaden um mich rum. Nur durch die beiden Funzeln am Rolli beleuchtet, war ich mir auch nicht durchgehend sicher, auch wirklich an der Klinik anzukommen. Das war ein wenig grenzwertig. Mein Schutzengel hatte zu der Zeit ne Menge zu tun. Er hat seinen Job aber echt gut gemacht. Durchgefroren aber heil bin ich wieder eingefahren.

 

 

Als es aber anfing zu schneien wurde ich vorsichtiger. Einen bergab-rutschenden Rollstuhl brauchte ich nun nicht. So blieb ich auf befestigten Wegen.

Letztendlich war ich ganz froh, dass ich von der Physiotherapeutin zu meinem Glück gezwungen wurde.

Ich hatte schon mit meinem Sanitätsmann telefoniert und freute mich auf meinen eigenen E-Rolli. Bis der aber ausgeliefert wurde, sollten noch ein paar Monate ins Land gehen. Gut Ding will Weile haben.




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