Erinnerungen. Mein Freund.


Wow... ich habe grade meine "lang-nicht-mehr-eingesteckte" externe Festplatte eingesteckt. Seit Monaten arbeite ich nur noch mit der Dropbox. Speichere darauf, was ich wichtig finde.

Ich finde externe Festplatten weniger praktisch. Während man in einer Cloud von allen Geräten aus Zugriff auf seine Sachen hat, muss man die Festplatte immer mitschleppen. Und an einem Smartphone kann man sie auch nicht anschließen. So bin ich ein Dropbox-Fan. Aber mein Speicher ist fast voll. Wenn ich alles drauf speichern wollte, muss ich bezahlen. Und nicht wenig. Die Idee war, dann schau ich mal, was ich nicht unbedingt in der Dropbox brauche und verschiebe es.

Darum:

Ich habe grade meine "lang-nicht-mehr-eingesteckte" externe Festplatte eingesteckt. ;-)

 

Und wie es so ist, man stöbert. Statt strukturiert nachzusehen, was man wohin verschiebt, klickt man sich durch die alten Dateien... Stöbert in alten Word-Dokumenten, in alten Ordnern. In alten Bildern. Und die Erinnerungen fließen.


z.B. die an einen lieben Freund.

Also, "nur" Freund. Nicht Partner, keine Beziehung.


Er kennt mich nicht mehr. Nach einem Unfall hat er sein Gedächtnis verloren. Er erinnert sich nicht mehr daran, dass wir stundenlang auf seinem Bett gesessen, mal Capuccino, mal Portugieser Rotwein getrunken haben. Dazu meine noch immer Lieblingspralinen gegessen haben. Geredet, gelacht, sehr vertraut und sehr, sehr gute Feunde waren. Auf dem Bett saßen wir deshalb, weil seine Wohnung so klein war, dass er kein Wohnzimmer hatte. So konnten wir entweder auf den Küchenstühlen oder auf seinem Bett sitzen. Statt Sofa. Er hat Gedichte geschrieben. Macht er heute noch. Und einige hat er mir gewidmet. Das weiß er aber auch nicht mehr. Ich habe ihm mal ein paar Fotos seiner handschriftlichen Werke geschickt. Hat aber nix genutzt. Er hat sich zwar drüber gefreut. Erinnern ist aber nicht.

 

Bin eine vergessene alte Freundin.

Wenn

Wunschbilder
unrealistisch sind
muss man
dann vor ihnen
warnen


oder vor der Realität?

Sehr wahr, wie ich finde. Und zeitlos. Und schön.

 

Ich glaube, wäre sein Unfall zu der Zeit geschehen, als wir so eng verbunden waren, wäre ich sicherlich wieder in seiner Erinnerung aufgetaucht.

Aber er geschah nachdem ich schon eine ganze Zeit lang, fast zwei Jahre, nicht mehr zu seinem Leben gehörte.

 

Wie es manchmal so ist. Er ist grade gestresst, denkt, dass seine Freundin sicher versteht, dass er sich nicht meldet. Schließlich weiß sie ja, dass sie verbunden bleiben, auch wenn eine Zeitlang Funkstille herrscht.

Leider war die Freundin da noch nicht soweit, das so zu verstehen. Die war nämlich selber grade gestresst und im Gegegensatz zu ihm, brauchte sie ihren Freund. Der war aber nicht greifbar. Das verstand sie nicht und stellte die Freundschaft komplett in Frage.

 

So kam es wie es kommen musste. Vorwürfe, Streit, Rückzug. Totale Funkstille. Aus Verletztheit, oder aus Trotz, Wut über das Unverständnis.

Der beste
Weg
seine Wunschbilder
zu überwinden
ist wunschlos glücklich
zu werden
dazu muss man
ihnen zunächst


folgen

Ein Auge hatte ich aber immer auf ihn, bzw. auf seine Seite. Er schrieb seine Gedichte und hatte eine eigene Homepage, die ich immer mal besuchte.

Dort war auch irgendwann das Bild des Wagens, dem er unverletzt aber ohne Erinnerung entstiegen war. Natürlich schrieb ich daraufhin. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich seinen Wunsch respektiert, der da hieß: Kein Kontakt.

 

Ich wünschte ihm alles Gute und dass ich mich sehr freue, dass er soviel Glück gehabt hat. Irgendwie sowas.

Außerdem hatte ich ein oder zwei Gästebucheinträge hinterlassen.

 

Und dann kam irgendwann eine mail, die Adresse hatte er von den Gästebucheinträgen, in der stand, dass er sich frage, wer ich denn wohl sei.

Verbunden mit der Erklärung, dass er durch diesen Unfall eben an Teile seines Lebens keine Erinnerung mehr habe.
Das war mir neu und wollte erstmal verdaut werden. So schrieb ich ihm zurück und erzählte ihm wer ich war. Woher wir uns kannten und so weiter. Auch habe ich nicht verschwiegen, dass wir uns nicht freundschaftlich getrennt haben.

Wunschbilder
sind
besonders
kreative
Wunschzettel

 

der Seele

Es stellte sich heraus, dass er von alledem nichts mehr erinnern konnte. Ich war futsch.

 

Aber mit mir war auch sein Ärger über mich futsch. Hat eben alles zwei Seiten. ;-)

Ich denke, darum konnte es dazu kommen, dass wir uns verabredeten.

Wir trafen uns an einem Abend in einem Biergarten. Ich brachte das mit, was ich noch von ihm hatte. Mehr als Beweis, dass ich ihm nix "erzählte". Und wir verbrachten einige Stunden dort.

Während er mir von seiner Zeit nach dem Unfall erzählte, wie nach und nach die ein oder andere Erinnerung wiederkam, wie schlimm es aber auch ist, sich eben nicht erinnern zu können, beschrieb ich ihm, wie wir uns kennen gelernt haben, was wir gemeinsam unternommen haben, beschrieb unsere Wein-Marzipan-Cappucino-Momente. Zeigte ihm die Gedichte und ein Buch, das er mir zum Geburtstag geschenkt hatte und das mit einer Widmung von ihm versehen war. Er hörte aufmerksam zu, stellte Verständnisfragen und versuchte sich zu erinnern.

Als alle möglichen Erinnerungs-Infos ausgetauscht waren, plauderten wir noch eine Weile. Ich war zu der Zeit schon mit meinem liebsten Thompson liiert, von ihm erzählte ich. Auch er hatte eine Partnerin.

Dann umarmten und verabschiedeten wir uns. Er sagte, dass er erstmal alles wirken lasse müsse. Das konnte ich gut verstehen. Auch wenn mir die Empfindung fehlt, wie es sein muss, wenn ein mir völlig unbekannter Mensch so viele Details aus meinem Leben weiß, so kann ich mir sehr gut vorstellen, wie verstörend es sein muss.

 

Am nächsten Morgen war eine mail in meinem Postfach.

Er bedankte sich für den Abend, schrieb, dass er ihn als sehr angenehm empfunden habe, es aber vorziehe, auch, weil er keinerlei Erinnerungen zurück erhalten habe, keinen weiteren Kontakt zu pflegen.

 

Ich konnte diesen Wunsch ohne Wenn und Aber akzeptieren.

An diesem Abend hatte ich nämlich eine Chance erhalten, die den wenigsten Menschen vergönnt war.

Ich hatte die Möglichkeit bekommen, einem Menschen, der mir sehr wertvoll war/ist, und der plötzlich aus meinem Leben gerissen wurde, noch einmal zu sehen. Mit ihm zu reden, ihn zu erleben, mit ihm Frieden zu schließen und: mich angemessen von ihm zu verabschieden.

Wievielen ist dieses Glück vergönnt?

Wir haben keinen Kontakt mehr, mal ein kurzes "Hallo" auf Facebook, etwas Smalltalk.

Aber das Gefühl, eine sehr wichtige Sache angemessen abgeschlossen zu haben, ist wundervoll.

 

Ich wünsche dir das Allerbeste, mein Freund! :-)

 

Nachtrag: Er bezeichnet es nicht als Vergessen. Er hat verloren. Er hat Erinnerung verloren. Ich trauere mit dir.




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