Dreirad


Der April 2015 bestach nicht nur durch all die umwerfend guten Nachrichten meine Gesundheit betreffend. Nein, auch sonst war die komplette Familie im Umbruch.

Schon Ende des Vorjahres stand fest, dass Jackson ihr Studium Ende März würde beginnen können. Wir haben uns auf Wohnungssuche begeben, da die Strecke zu weit von unserem Zuhause entfernt war, um sie täglich zu fahren. Sie fand auch recht schnell eine wirklich süße Wohnung.

Die wurde allerdings erst zum 01.05. frei, sodass sie die ersten Wochen ihres Studentinnen-Daseins in einer Pension fristen musste, die ein recht karges, aber wenigstens preiswertes Zimmer anbot. Als die Vormieterin endlich raus war und auch die Schäden, die sie hinterließ, beseitigt waren, und sie wieder einen Klodeckel installiert hatte (ja, ohne Witz, den hatte sie mitgenommen!), konnten Jackson, Pascallo und Thompson (nein, hier heißt niemand normal) zur Renovierung schreiten.
Ich wäre eh keine Hilfe gewesen. So blieb ich gleich zu Hause. Ich konnte nichts tragen, nur mich selber am Stock und was hätte ich dann dort tun sollen? Ich habe für Verpflegung gesorgt, die sie dann mitgenommen haben.
Ich hatte übrigens eingesehen, dass ich mit einem normalen Fahrrad dem sicheren Tod geweiht war. Cindy, ein nun wirklich kleiner Hund von ca. 8kg Körpergewicht, schaffte es mittlerweile, mich von den Füßen zu holen. Ruckte sie in die Leine, weil sie einen Hund anbellte, fiel ich um. Mit oder ohne Rad. Mit Rad war es nochmal blöder. Auch das kleine Klapprad konnte ich nicht mehr zuverlässig in der Senkrechten halten. Also habe ich mich auf die Suche nach einem Dreirad gemacht. Gerne mit Elektro-Unterstützung, denn das würde ich auf jeden Fall brauchen. Ich bin im Internet fündig geworden. Dass ich ein fast neues Pedelec nun in der Garage stehen hatte, es aber nicht mehr fahren konnte, ärgerte mich sehr. Soweit zum Thema „vorrausschauend bestellen“, was die ALS-Broschüre so nett empfohlen hatte. Ja, hätte ich auf mein Gefühl gehört, wäre es direkt ein Dreirad geworden. War aber nicht wirklich so erstrebenswert, als dass ich das gerne gemacht hatte.
Gott sei Dank konnte Jackson mein E-Bike gut gebrauchen, um von ihrer Wohnung in die 5km entfernte Hochschule zu gelangen. Denn die Busverbindung war sehr schlecht. Später, als sie nochmal umgezogen war, und nun besser weg kam, habe ich es dann doch noch gut verkaufen können.

Auf in die erste eigene Wohnung!
Auf in die erste eigene Wohnung!

Das Dreirad wurde ebenfalls im April geliefert. Ein Riiisending! Oh mein Gott! Thomas musste es zum Teil noch zusammen bauen. Als ich es das erste Mal in Natura sah, dachte ich, mich tritt ein Pferd. Der LKW unter den Fahrrädern. Und so herrlich nach „voll behindert“-aussehend. Wie oft ich das in den zurückliegenden Wochen schlucken musste. Dass ich nicht mehr „normal“ war. Immer und überall wurde es mir vorgehalten. Die Leistungsfähigkeit, die zurück ging, die Kraft, die fehlte, die Beweglichkeit, die wich und nun auch die eingeschränkte Fortbewegungsmöglichkeit. Objektiv betrachtet war das Rad wunderbar. Es hatte zwischen seinen beiden Hinterrädern einen riesigen Gitterkorb. Den staffierte ich später mit einer dicken Wolldecke aus und hatte einen tollen Hundekorb. Mit viel mehr Platz für Hund und Zubehör , als der am Lenker ihn bieten konnte.
Aber bevor es soweit war, musste ich erstmal lernen mit diesem Rad zu fahren. Heidewitzka! Gar nicht so einfach. Wenn ihr die Möglichkeit habt, probiert es einmal aus! Ein Dreirad fährt sich nicht wie ein Fahrrad. Dadurch dass es hinten starr ist, ist es nicht möglich, durch seinen Körper zu lenken. Das muss man ausschließlich mit dem Lenker tun. Und das will erstmal verstanden werden. Ich versuchte es erstmal ohne Elektro-Unterstützung. Und selbst so raste ich fast auf die Straße oder in den Busch. Außerdem hatte ich stets das untrügliche Gefühl, umzukippen. Sehr unwahrscheinlich, aber man denkt es bei jedem Lenken. Ich war 2 Minuten auf dem Ding und schon bedient. Ich wollte mich nicht auch noch zum Affen machen auf dem Rad, das in meinen Augen eh schon so beknackt aussah. Außerdem hatte ich das Gefühl, die komplette Straße stand hinter den Gardinen um mir bei meinen Fahrversuchen zuzusehen. Ich bin ein Perfektionist. Solche Wackeldinge sind völlig gegen meinen Anspruch.
Thompson, mein „Ich-fahre-alles-und-jedes-problemlos“-Mann, versuchte es auch mal. Und ihm gelang es natürlich geradeaus zu fahren. Und auch mit Elektrounterstützung dorthin, wohin er wollte. Grmpf.

ganz schön groß...
ganz schön groß...

Er machte mir aber Mut. Ich solle es ruhig mal ein paar Minuten probieren, das wird schon. Aber für den Moment reichte es mir.
In der Bedienungsanleitung gab es den Tipp, dass man den Lenker nicht fest umfassen, sondern ihn nur mit den Fingerspitzen berühren soll,  um so ein Gefühl für das Lenken zu bekommen.
Am nächsten Morgen habe ich mir ein Herz und das Rad gefasst und habe den nächsten Versuch gewagt. Und siehe da, mit dem Tipp klappte es. Ich hatte nach zwei Tagen Üben den Bogen raus und bin viele Monate mit Cindy wieder unterwegs gewesen. Ohne hinzufallen, gesichert auf drei Rädern, unterstützt von einem Elektromotor, konnten wir wieder weitere Touren unternehmen. War sie müde, hatte sie wieder einen Korb, den sie, wie auch vormals den alten, aber kaum benötigte. Ich gewöhnte mich dann doch sehr schnell an meinen LKW und habe ihm viel Bewegungsfreiheit zu verdanken. Wie ich auf andere wirkte, blendete ich aus, aber eigentlich waren viele Menschen sehr angetan von dem Rad. Viele, denen ich begegnete, meinten: „Ach guck mal, sowas hätte ich auch gerne.“ Oder: „Ach, guck mal, der Hund hat aber einen schönen Korb.“ Gut, das waren jetzt mehr so die Rentner unter den Mitmenschen. Aber was soll’s. Ich hatte mich dran gewöhnt und fuhr selbstbewusst meiner Wege.


Bild: Jack Russell auf Baumstamm
Jetzt konnten wir wieder Touren unternehmen




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